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In der Verfolgerrolle ist VW mit dem Kompaktvan
Touran. Eine vertraute Situation: Schon ihren Van "Sharan" brachten die Wolfsburger lange nach den Mitbewerbern heraus - und wurden dennoch Marktführer. Auf die Kraft der Marke muss sich der Konzern auch bei seinem jüngsten Produkt verlassen, denn der etablierte Platzhirsch bei den Kompaktvans heißt Zafira und kommt von Opel. Nach unserem ersten Augenschein im Stammwerk Wolfsburg lässt sich sagen: Der Touran ist ein gut gemachter Kompaktvan. Er steckt allerdings in einer sehr konservativ gezeichnete Hülle. Neue Maßstäbe in Sachen Variabilität setzt er nicht, denn das Fahrzeug kombiniert lediglich gute Details , die von Wettbewerbern längst in den Markt eingeführt sind. In Straßenlage und Fahrkomfort könnte der VW voraus sein, weil er der erste Vertreter der neuen A5- Produktfamilie ist, die bald vom neuen Audi A3 und im Herbst vom neuen Golf V ergänzt wird. Sie zeichnet sich unter anderem durch eine aufwändige Vierlenker-Hinterachse aus. Ihre Qualitäten kann natürlich nur ein ausführlicher Fahreindruck belegen.

Konzernschef Bernd Pischetsrieder hat derzeit eher damit zu tun, die teilweise verfehlte Modellpolitik seines Vorgängers zu korrigieren. Verschlafen hat VW beispielsweise den Roadster-Trend und hielt es auch jahrelang nicht für erforderlich, einen Kompaktvan anzubieten. Pischetsrieder indes ist überzeugt davon, "dass vanartige Fahrzeuge in diesem Segment bis zu 50% Marktanteil erobern werden". Marktführer ist Opel mit dem Zafira, wenn auch insbesondere die französische PSA-Gruppe mittlerweile sehr kreativ im Markt ist. Und wer sich im Touran das Konzept der zweiten Sitzreihe ansieht, wird den Peugeot 307 SW wiedererkennen: Drei demontierbare, nicht zu schwere Einzelsitze. Bei Bedarf lässt der mittlere Sitz auch durch eine Kühlbox ersetzen. Diese Variabilität ist ebenso bekannt wie die optionalen Einzelsitze der dritten Reihe. Sie sind so umlegbar, dass ein ebener Kofferraumboden entsteht - dieses Features hat Opel mit dem Zafira eingeführt. Auch Schubkästen (unter den Vordersitzen), viele Ablagen und aus den Vordersitzen ausklappbare Tabletts sind keine Innovationen, sondern bei Fahrzeugen mit ausdrücklich praktischem Anstrich mittlerweile selbstverständlich. Nichts neues also aus Wolfsburg?

Eher mit einer Qualität, die zumindest bei einem Familienwagen wichtig ist: Der Raumökonomie. So soll die statische, leicht kastenförmige Form eindeutig den Platzverhältnissen zugute kommen. "Form follows Function. Beim Touran hatte sich das Design unterzuordnen", räumte Pischtesrieder ein. Und wer solche Geständnisse ungefragt ablegt, kann sein eigenes Auto kaum als optisch reizvoll ansehen. Immerhin: Das kantige Äußere mit der fast geraden Dachlinie erlaubt eine vergleichsweise hohe Sitzposition im Fond und offeriert auch für die Passagiere der dritten Reihe ansehnliche Kniefreiheit. Zumindest beachtlich für die Fahrzeuglänge von 4,39 Metern. Ob diese Qualitäten nicht auch mit einem pfiffigeren Äußeren einhergehen könnten, wagen wir dennoch zu hinterfragen.

Deutlicher sind die technischen Konturen des Touran. An Highlights gibt es, abgesehen von der aufwändigen Hinterachse, eine elektromechanische Servolenkung (soll das Lenkgefühl verbessern und etwas Sprit sparen) und Getriebe mit sechs Vorwärtsgängen (Ausnahme: Basisversion). Sechsappeal haben sowohl die manuelle Gangbox als auch die Wandlerautomatik. Außerdem zu haben ist das kürzlich vorgestellte Direktschaltgetriebe (DSG). Ebenfalls positiv: Das jüngste Wolfsburger Kind fährt stubenrein. Sämtliche Motoren erfüllen die EU4-Abgasnorm, was vor allem den Dieselfahrern einen Batzen Steuersparnis bringt. Angeboten werden zunächst zwei Selbstzünder mit 100 und 136 PS. Beide Aggregate arbeiten nach dem weiterentwickelten Pumpe-Düse-Prinzip, die stärkere Maschine ist nach VW-Angaben eine Neuentwicklung mit 16-Ventilkopf. Die vorerst zwei Benziner leisten aus 1,6 Litern Hubraum 102 bzw. 115 PS. Die stärkere Version ist ein Benzin-Direkteinspritzer (FSI).

Die Gnade der späten Geburt beschert dem Touran ein "gutes Preis-Leistungs-Verhältnis", wie Pischetsrieder betont. Eine Tugend, von denen die Produkte aus Wolfsburg bislang frei waren. So kombiniert VW moderate Grundpreise (Benziner ab 19 950 Euro, Diesel ab 21 800 Euro) mit verbesserter Grundausstattung. Ab Werk ist der Touran beispielsweise klimatisiert und verzögert mit Unterstützung des Bremsassistenten. Und ein CD- Radio freiwillig zu montieren, könnte den Anfang eines gewissen Umdenkungsprozesses bei VW markieren. Bislang gab es sowas nur gegen Aufpreis. Ausstattungsbereinigt liegt VW unter dem Einstiegspreis vom Zafira 1,6 (100 PS, 18 995 Euro). Potenzielle Käufer eines Kompaktvan dürfen sich also derzeit genüsslich zurücklehnen und auf die verbesserte Ausstattung des Zafira warten.

Rund 200 000 Exemplare jährlich will Volkswagen verkaufen, und zwar weitgehend durch Eroberungskäufe. "Wir kommen zwar spät in dieses Segment", räumt Pischetsrieder ein, doch wenn der Touran den gleichen Erfolg habe wie einst der Sharan, "dann sind wir nach kurzer Zeit Marktführer." Starke Ansprüche, die der Wolfsburger Kompaktvan zumindest nach dem ersten Augenschein nur schwer einlösen kann.


mv

21.08.02